Überlebensfrage für Versicherer jeder Größe
Die deutsche Insurance-Branche steckt mitten in der Transformation. Nicht nur die IT-Ausgaben werden bis 2020 auf rund fünf Mrd. Euro steigen. Zusätzlich soll verstärkt in neue digitale Projekte und Geschäftsfelder investiert werden.
Eine besondere Bedeutung haben seit jeher die Bestandsverwaltungssysteme, die das Geschäftsmodell von Vertragserstellung bis Schadenregulierung abbilden. Sie sind heute Sinnbild für das sogenannte „Legacy-Problem“ der Versicherer. Darunter versteht man IT-Plattformen, die nicht mehr den modernen Anforderungen an die IT entsprechen und häufig nur noch mit hohem Aufwand betrieben werden können. Schaut man in den Maschinenraum der Versicherer bietet sich ein Bild, das an der Zukunftsfähigkeit vieler Häuser Zweifel nährt. Fast Zweidrittel der deutschen Versicherer setzen Bestandsverwaltungssysteme ein, die 20 Jahre oder älter sind. Noch dazu handelt es sich in neun von zehn Fällen um Eigenentwicklungen, für die es keinen externen Support gibt. Dies erklärt anschaulich, warum ein Großteil der IT-Budgets darauf verwendet werden muss, alte Systeme am Leben zu halten.
Für Programmiersprachen wie Assembler oder COBOL wird es immer schwerer, Entwickler zu finden, und auch Mainframe-Experten sind eine rare Spezies. Doch selbst wenn das Personalthema nicht wäre, können die Anforderungen an die Unterstützung digitaler Geschäftsmodelle durch die Altsysteme nicht mehr erfüllt werden. Um die Verwaltungskosten zu reduzieren, die auch im europäischen Vergleich zu hoch sind, und neue Vertriebskanäle zu erschießen, sind Bestandsverwaltungssysteme erforderlich, die über eine leistungsstarke Schnittstellentechnologie verfügen (neudeutsch API-Layer), um End-to-End Geschäftsprozesse zu ermöglichen und in Echtzeit zu verarbeiten.
Seit einigen Jahren gehen die großen Konzerne bei der Modernisierung ihrer IT voran. Statt auf Eigenentwicklungen setzen sie dabei auf Standardsoftware. Die Entscheidung über die Anbieterauswahl wird dabei häufig nicht mehr in Deutschland, sondern am jeweiligen Konzernsitz getroffen. Statt vieler unterschiedlicher Plattformen soll der Wechsel auf eine Standardsoftware auch länderübergreifendes Arbeiten ohne technologische Barrieren ermöglichen. Dieser Ansatz ist nachvollziehbar und wurde in anderen Branchen längst vollzogen. Die regulatorischen Unterschiede der Versicherungsmärkte haben sich auch in diesem Fall als Bremsschuh der Entwicklung erwiesen und damit indirekt auch den heimischen Softwareanbietern einen Schutzraum geboten, den es jetzt nicht mehr gibt.
Greenfield Komposit
Profiteur dieser Entwicklung war in der Kompositversicherung vor allem Guidewire, ein erst 2001 gegründetes, börsennotiertes IT-Unternehmen aus Kalifornien, das bis vor wenigen Jahren nur wenigen Experten ein Begriff war. Durch gutes Marketing und eine gute Partnerstrategie konnte Guidewire auch in Europa große vertriebliche Erfolge feiern. IT-Researchfirmen wie Gartner oder Celent erteilen Guidewire seit Jahren Bestnoten und sind damit sicher Pate vieler Entscheidungen der Versicherer. Spannend wird nun die zweite Welle sein. Bei vielen mittelgroßen Versicherern sind die Entscheidungen über neue Bestandsverwaltungssysteme in der Kompositversicherung noch nicht gefallen und in der Lebensversicherung stehen wir erst am Anfang der Entwicklung.
Der Trend zur Orientierung am internationalen Markt wird sich sicher fortsetzen. Auch mittelständische Versicherer werden ihre Anbieterlisten um solche ausländischen Anbieter von Standardsoftware erweitern, die nachweislich über Ressourcen in Deutschland verfügen und die regulatorischen Spezifika des deutschen Marktes beherrschen. Aber auch Anbieter, die sehr stark auf die Bedürfnisse der mittelständischen Kunden eingehen können, wie zum Beispiel Faktor 10 mit seinem Open-Source-Ansatz, haben gute Chancen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Spannend wird sein, inwieweit die Insurtechs bei größeren Ausschreibungen als Sieger hervorgehen können. So ist sum.cumo seit dem Jahr 2013 bei fünf Greenfield-Projekten in der Kompositversicherung zum Zuge gekommen und verfügt über den großen Vorteil, vor allem bei den Kunden- und Vermittlerportalen sowie der Schnittstellentechnologie, die für die Partneranbindung wichtig ist, einen großen Vorsprung zu haben. Gerade die Fähigkeiten der digitalen Plattform entscheiden immer mehr über die Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle von Versicherern. Der Trend zu digitalem Vertrieb und digitalen Services wird durch die Corona-Krise sicher weiter beschleunigt.
An sum.cumo ist seit wenigen Wochen das israelische Tech-Unternehmen Sapiens beteiligt, das damit die Tür zum deutschen Markt weit aufgestoßen hat. Sapiens macht weltweit mit über 500 Versicherungskunden mehr als 300 Mio. Euro Umsatz und agiert auch in den Augen der Analysten auf Augenhöhe mit Marktführern wie Guidewire. Man könnte auch sagen, dass hier mit Tel Aviv und dem Silicon Valley die beiden Zentren der digitalen Pilgerreisen deutscher Versicherungsvorstände aufeinandertreffen. Dabei punktet Israel vor allem durch ein modernes Managementverständnis und hohe Diversität, die auch an der großen Zahl von Frauen in Managementposition abzulesen ist. Die enge Kooperation mit Wissenschaft und vor allem Militär ist hier wie dort Teil der Erfolgsstory.
One-Stop-Shopping
Der Komplettanbieter Sapiens, der weltweit Bestandsführungslösungen für Komposit-, Lebens- und Rückversicherer anbietet, verstärkt sich nun mit Frontend-Technologien und sichert sich zugleich den German Country Layer, also das Wissen um die Spezifika des deutschen Marktes. Aber sum.cumo, das weiter unter eigener Marke am Markt auftreten wird, ist auch noch aus einem anderen Grund strategisch relevant. Während die meisten Versicherer damit leben müssen, mehrere Kernsysteme zu betreiben (mindestens eins pro Sparte), wird man Kunden, Vertrieben und Partnern nur ein digitales Frontend anbieten wollen. Genau hier ist das Spielfeld, das den Teil der Wertschöpfungskette besetzt, der für die Zeit der digitalen Angebote und Ökosysteme zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird.
Sapiens wird mit seinem Partner der einzige Anbieter im Markt sein, der One-Stop-Shopping anbieten kann. Anders als viele der anderen Branchenschwergewichte übernimmt Sapiens grundsätzlich die gesamte Software-Implementierung durch eigene Mitarbeiter. Mit dem digitalen Beratungs-Knowhow kann sichergestellt werden, dass wirklich End-to-End gedacht wird, denn allzu häufig werden in Transformationsprojekten die etablierten Prozesse des Papierzeitalters in neuen Systemen umgesetzt.
Strategische Weichenstellungen in der IT werden immer mehr zur Überlebensfrage für Versicherer jeder Größe. Die aktuelle Krise, die auch die Versicherungswirtschaft mit etwas Verzögerung hart treffen wird, führt dem Markt vor Augen, wie wichtig es ist, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und die resultierenden Projekte im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit effizient umzusetzen.