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Neue Wege bei der Regulierung von Insurtechs

Engt die deutsche Aufsicht mit ihren verschärften Anforderungen die Innovationskraft der digitalen Newcomer ein?

Gastautor: Marc Surminski

Seit Jahren erlebt Deutschland einen Insurtech-Boom. Es hat sich eine bunte Gründerszene etabliert, Investorengeld fließt auch nach dem Pandemie-Schock weiter reichlich. Insurtech-Hubs in den großen Assekuranz-Zentren arbeiten daran, die Innovationsdynamik der Gründer in professionelle Bahnen zu lenken und zum Markterfolg zu führen. Hunderte Startup-Konzepte mit neuen Idee für alle erdenklichen Bereiche der Wertschöpfungskette drängten bis heute in die Öffentlichkeit, manche Insurtech-Manager genießen bereits den Status digitaler Gurus.

Aber erstaunlicherweise hat dieser Boom bislang nur sechs Neugründungen von digitalen Versicherern hervorgebracht. Die große Menge der Insurtechs agiert hierzulande nicht als Versicherer, sondern vor allem als Dienstleister, Makler oder Assekuradeur. Das ist angesichts der vielen Millionen Euro an Investorengeldern, die in die deutsche Insurtech-Szene fließen, eine eher schwache Ausbeute. Ein Vergleich zu Großbritannien ist aufschlussreich: Dort sind allein im Jahr 2019 immerhin 48 digitale Versicherungsunternehmen zugelassen worden, weitere 60 sind für dieses Jahr in der Pipeline. In beiden Ländern gilt dabei mit Solvency II bislang übrigens das gleiche, strenge Aufsichtsregime.

Warum gibt es in Deutschland nur so wenige Insurtechs, die als Versicherer zugelassen sind?

Warum gibt es in Deutschland nur so wenige Insurtechs, die als Versicherer zugelassen sind – und damit im Kerngeschäft arbeiten, nicht in Randbereichen der Branche? Legen Politik und Aufsicht den Gründern mit zu hohen Anforderungen unnötig Steine in den Weg? Um diese Fragen gibt es momentan eine intensive Debatte. Auslöser war die BaFin, die zu Beginn des Jahres mehr Eigenmittel und Rückstellungen bei Digitalversicherern angemahnt hatte. Sie begründete ihre Forderung damit, dass die Geschäftsentwicklung einiger Insurtechs hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei und sie ihre Ergebnisprognosen erheblich verfehlen hätten. Dadurch steige der Bedarf an Nachfinanzierungen – und Finanzierungsrunden seien wegen der Corona-Krise teils nicht wie geplant zu realisieren.

Versicherungslizenzen sollen nun nur noch dann vergeben werden, wenn die Newcomer am Tag des Lizenzantrags die vollständige Ausfinanzierung nachweisen können. Zudem müssten strenge Anforderungen an den Geschäftsbetrieb gelten. Insbesondere solle die Höhe des Organisationsfonds den oft hohen IT-Kosten der Neugründungen Rechnung tragen.

In bemerkenswerter Einigkeit haben der GDV und der digitale Lobby-Verband Bitkom gegen die geplanten Verschärfungen protestiert. Wer die vollständige Ausfinanzierung von Insurtechs verlange, belaste sie sogar über die bisher geltenden Anforderungen von Solvency II hinaus und verhindere Innovationen im deutschen Versicherungsmarkt. Im Bundestag hat kürzlich die Regierung als Antwort auf eine Anfrage der FDP die Haltung der Aufsicht beim Umgang mit Insurtechs noch einmal grundsätzlich bekräftigt:

„Die BaFin behandelt die von ihr beaufsichtigten Insurtechs genauso wie andere Versicherungsunternehmen. Sie erwartet von diesen Unternehmen eine angemessene Eigenmittelausstattung beim Zulassungsantrag und eine angemessene Abbildung der Risiken in der Aufbauphase“,
so das Bundesfinanzministerium.

Die BaFin ist aus nachvollziehbaren Gründen beunruhigt durch den Marktaustritt einiger Insurtechs in der letzten Zeit und die zum Teil dabei zutage getretenen Schwierigkeiten, Anschlussfinanzierungen zu gewinnen. Sie will mit den neuen Regeln auf Nummer sicher gehen und für langfristige Stabilität der Neo-Versicherer sorgen. Das ist angesichts der großen Volatilität in der Investorenszene und deren Abhängigkeit vom bislang reichlich vorhanden Kapital nur allzu verständlich.

Mehr Innovationskraft durch das Sand-Box-Modell

Aber agieren die Politik und BaFin hier mit dem richtigen Ansatz? Früh hat man sich in Deutschland auf die Strategie festgelegt, Insurtechs von Anfang an wie alle anderen Versicherer zu behandeln. Das hat der deutschen Aufsicht ein Instrument genommen, das anderswo erfolgreich eingesetzt wird. In Großbritannien nutzt man das Modell der „Sandbox“: Hierbei können sich die Versicherungs-Startups im „Sandkasten“ eines vorgegebenen festen Rahmens zunächst einmal ausprobieren, bevor sie später dann eine Lizenz beantragen.

Der Ansatz ist vernünftig. Die BaFin sagt völlig zu Recht im Hinblick auf neue Versicherer: „Aller Anfang ist teuer“. Aber die Lizenzierung ist nicht der Anfang eines Insurtechs. Die Gründer brauchen davor die Möglichkeit eines vollen Probelaufs für das Insurtech, und zwar unter den strengen Augen der Aufsicht. Die Newcomer erhalten dabei Zugriff auf entsprechende standardisierte Daten, um dann selbst Bestände nachzubilden oder zu rechnen – das alles mit regelmäßiger aufsichtsrechtlicher Beobachtung, Kontrolle und Steuerung.

Mehr Freiheiten in der Testphase, aber nicht bei der Lizensierung

In dieser Phase gibt es sinnvolle Erleichterungen für die Insurtechs: Die BaFin verzichtet auf Anforderungen, die nach Erteilung der Genehmigung gemäß Solvency II und dem VAG gelten. Sie kann auch auf Zwangsmaßnahmen oder Eingriffe während des Testzeitraums verzichten. Die Insurtechs legen im Gegenzug gegenüber der Aufsicht vollständige Transparenz an den Tag und halten die für die Testphase geltenden Regeln ein. Nach der Testphase stellt sich dann heraus, welches neue Geschäftsmodell im Versicherungsbereich tatsächlich tragfähig ist. Und bei der anschließenden Lizenzierung gelten natürlich all die Anforderungen der BaFin, die sie heute für den Betrieb einer neuen Versicherungsgesellschaft für wichtig hält.

Mit der Einführung einer solchen Testphase vor der eigentlichen Genehmigung zum Geschäftsbetrieb könnte hierzulande mehr Bewegung in die Neugründung von digitalen Versicherern kommen. Der deutsche Hang zum Perfektionismus verhindert momentan offenbar häufig, dass gute, innovative Ideen im Versicherungsgeschäft überhaupt die Chance haben, sich in der Realität zu beweisen. Für die gesamte BaFin hat die Politik kürzlich mit der Neubesetzung an der Spitze einen Kulturwandel angekündigt. Vielleicht wäre das auch eine Gelegenheit, dem bisherigen Umgang mit Insurtechs zu überdenken und neue Wege zu gehen. Denn: Wer sich in der Aufsichts-Sandkiste bewährt, wird später vielleicht mal ein großer deutscher Oscar oder eine schmackhafte deutsche Lemonade.