All Insurance Business is Local
Warum sich internationale Newcomer mit der Eroberung des deutschen Versicherungsmarktes schwertun
Gastautor: Marc Surminski
Ist der deutsche Versicherungsmarkt eine Festung, uneinnehmbar für Newcomer aus aller Welt? Die Bilanz von Insurtech-Überfliegern wie Lemonade fällt hierzulande eher dürftig aus. Software-Anbieter wie Guidewire, die den US-Markt aufgerollt haben, brauchen in Deutschland viele Jahre, um überhaupt die ersten größeren Projekte zu realisieren. Warum können ausländische Versicherer und Dienstleister, die in anderen Regionen der Welt erfolgreich sind, hierzulande nur schwer Fuß fassen?
Die Antwort auf diese Frage hat viele Facetten. Grundsätzlich ist die deutsche Versicherungwirtschaft sicherlich bis heute konservativer aufgestellt als die Assekuranz in etlichen anderen Ländern. Nach den äußerst erfolgreichen Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart haben sich Innovationskraft und radikale Veränderungsdynamik nicht unbedingt zu den prägenden Eigenschaften der hiesigen Versicherer entwickelt.
Ein Abbild der deutschen Mentalität
Die Branche ist damit zu einem großen Teil auch ein Abbild der deutschen Mentalität: Die Menschen hierzulande neigen dazu, auch dann noch an bestimmten Dingen festzuhalten, wenn der Rest der Welt sich schon kräftig gedreht hat – egal ob das nun Dieselmotoren sind oder Garantiezinsen auf Lebensversicherungen. Den Siegeszug des Direktvertriebs, der in Großbritannien schon lange vor dem Internet begonnen hat, ist hierzulange noch immer noch Zukunftsmusik; und während anderswo Ausschließlichkeitsvermittler weitgehend ausgestorben sind, dominieren sie bei uns weiter zu einem erheblichen Teil den Vertrieb.
In einem Markt mit so großen Beharrungskräften haben es revolutionäre Veränderungen natürlich schwer. Diese Erfahrung mussten viele deutsche Insurtechs machen, die vor Jahren schon die große digitale Revolution für den Markt ausgerufen haben, aber bislang eher eine kleine Nebenrolle spielen. Die mediale Aufmerksamkeit für die „Home Grown Disruptors“ steht bislang jedenfalls in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Bedeutung im Markt.
Und ehrlicherweise muss man sagen, dass wirklich innovative Konzepte mit revolutionärer Sprengkraft bei den deutschen Insurtechs bisher auch kaum zu erkennen sind. In der Regel zielen die meisten mit ihrem Ansatz auf eine perfekte digitale Organisation des Versicherungsgeschäftes ab – mit Unterscheidungsmerkmalen höchsten im Detail. Ob sie damit langfristig gegen die geballte Marktmacht der etablierten Versicherer ankommen, muss sich zeigen. Wenn diese es schaffen, erfolgreich digital nachzurüsten und ihr Geschäft zur transformieren, dürfte das sehr schwer werden.
„Was für eine Disruption etwa des US-Marktes gut ist, muss nicht automatisch auch in Deutschland funktionieren“
Newcomer aus anderen Ländern tun sich noch schwerer, denn was für eine Disruption etwa des US-Marktes gut ist, muss nicht automatisch auch in Deutschland funktionieren. Mit Milliarden bewertete Insurtechs zielen in Amerika auf die speziellen Unzulänglichkeiten des dortigen Marktes – wie der Krankenversicherer Oscar, der für seine Kunden ein digitaler Helfer im teuren, chaotischen US-Krankenversicherungssystem sein will. Ein erfolgversprechender Ansatz für den deutschen Markt müsste ganz anders aussehen.
Auch das hochbewertete Insurtech Lemonade hat sein Geschäftsmodell auf die Unzulänglichkeiten des US-Marktes etwa für jüngere Versicherungsnehmer mit kleinem Budget ausgerichtet. In Europa und speziell in Deutschland, so hat es sich bei den ersten, wenig erfolgreichen Gehversuchen des Unternehmens gezeigt, sind die Wettbewerbsverhältnisse aber anders.
Wird es künftig große, globale Champions geben?
Es ist eine offene Frage, ob es im Versicherungsgeschäft durch die Angriffe der Insurtechs künftig globale Champions geben wird, die viele Märkte dominieren. Die internationale Erfolgsgeschichte der großen digitalen Player wie Google oder Amazon mag dazu anregen, als Insurtech in ähnlicher Weise auch den Versicherungsmarkt zu erobern. Sie stoßen aber dabei auf zwei grundsätzliche Schwierigkeiten: Zum einen gibt es Versicherung schon. Sie muss nicht erfunden werden wie etwa das System der Suchmaschinen. Google konnte seinen eigenen neuen Markt kreieren, Lemonade und Co. haben nur die Chance, es besser zu machen als die etablierten Versicherer und sich damit ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzuschneiden.
Zum anderen ist das Versicherungsgeschäft – über die unterschiedliche Mentalität der Kunden hinaus – bis heute von großen regionalen Unterschieden geprägt: Die Sozialversicherung, die Rechtsprechung und die Steuersysteme in den einzelnen Ländern sind so unterschiedlich, dass es sehr schwer fällt, ein global einheitliches digitales Erfolgsmodell zu schaffen und die entsprechenden Skaleneffekte zu realisieren.
Erfolg in den regionalen Märkten
„All Insurance Business is Local“ – dieser Satz gilt bis heute für das weltweite Versicherungsgeschäft, und er ist keineswegs nur auf den deutschen Markt mit seinen Besonderheiten zu beziehen. Die großen, international tätigen Versicherer von Allianz bis Zurich agieren immer noch nach diesem Satz: Sie sind in den jeweiligen Märkten mit ihren regionalen Gesellschaften erfolgreich, die sie aufgebaut oder aufgekauft haben. Auch in Deutschland spielen die internationalen Versicherer seit den Anfängen des Marktes eine wichtige Rolle. Man empfindet die Axas, Generalis und Swiss Lifes dieser Welt aber eben nicht mehr als internationale Konkurrenz, sondern als hier verwurzelte Marktschwergewichte.
Wer den deutschen Markt als Newcomer wirklich erobern will, würde am besten damit fahren, für viel Geld einen großen Versicherer zu kaufen und dann entsprechend neu zu positionieren. Das wäre dann aber eher weniger ein Fall für Insurtechs, sondern etwas für Giganten wie Ping An, die sich einen solchen Großdeal leisten könnten.