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Das Ende der Lebensversicherung oder Aufbruch zu neuen Ufern?

Mitte der 90er Jahre war die Welt für die Lebensversicherer und die deutschen Altersvorsorgesparer noch in Ordnung, die „Vor-Riester-Zeit“. Ein Garantiezins von 4%, eine laufenden Durchschnittsverzinsung von 7% und die Steuerfreiheit bei Auszahlung machten die Kapitallebensversicherung zum Standardprodukt des kleinen Mannes in der deutschen Altersvorsorgelandschaft, über das nicht lang diskutiert wurde. Über die Zillmerung sowie insgesamt hohe Abschluss- und Verwaltungskosten wurde großzügig hinweggesehen. Aus dieser Zeit stammt auch die Fokussierung auf Garantien, die bis vor Kurzem prägendes Element jeder Diskussion um diese Form der Altersvorsorge war.

Riester als „Kind der nachgelagerten Besteuerung“ konnte trotz zeitweise beachtlicher Vertriebszahlen nie an die Erfolge des Vorgängers anknüpfen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Verrentung statt Kapitalleistung als Grundidee empfanden viele Altersvorsorgesparer dann doch eher als Gängelung. Der Förderrahmen mit Zulagen und die drohende Besteuerung wurden als intransparent und bürokratisch angesehen. Der Zuschnitt auf abhängig Beschäftigte verhindert zudem bis heute, dass die Riesterrente zum Universalprodukt werden konnte.

Trotz der genannten Nachteile riestern heute 16,47 Millionen Menschen und betreiben Altersvorsorge in einem Produkt, mit dem eigentlich niemand wirklich zufrieden ist. Das wäre nicht möglich gewesen ohne Versicherungsvertreter, Bankmitarbeiter und Makler, die unermüdlich erklärt, beraten und verkauft haben. Ohne die frühen Korrekturen am Produkt, die eine auskömmliche Provision ermöglichten, wäre Riester nicht erst 2021 aufs Abstellgleis geraten.

Die abermalige Absenkung des Garantiezinses ist der Riester-Sargnagel. Das Produkt ist tot und wir stehen heute am Anfang der „Post-Riester Zeit“. Keine politische Partei arbeitet an einer grundlegenden Reform, die sicher möglich wäre. Stattdessen werden neue Konzepte gehandelt, die in ihren Ausprägungen je nach Parteiideologie eine große Bandbreite aufweisen. Einig ist man sich in der Politik nur darin, dass die Versicherer und ihre Vertriebe keine große Rolle mehr spielen sollen.

Gibt es eine Alternative zum Riester-Produkt?

Was bedeutet es für Lebensversicherer, wenn sie auf das Geschäft mit der geförderten privaten Altersvorsorge verzichten müssen? Die betriebliche Altersversorgung ist jedenfalls für die meisten Versicherer keine Alternative. Hier konzentriert sich das Geschäft schon seit Jahren beim Marktführer. Zudem könnten sich auch hier Konzepte durchsetzen, bei denen eine Kernkompetenz der Versicherer, nämlich Kapitalgarantien in der Ansparphase, keine große Rolle spielen werden.

Obsolet werden Lebensversicherer aber keinesfalls, denn die Absicherung biometrischer Risiken wird an Bedeutung eher zunehmen, wenn es zu einer Entkoppelung zwischen Vorsorgesparen und Absicherung kommt. Der Hinterbliebenenschutz und die Absicherung der Arbeitskraft werden als selbstständige Produkte an Bedeutung gewinnen. Zudem können nur Lebensversicherer das Langlebigkeitsrisiko absichern. Allerdings müssen sich auch die Biometrieprodukte verändern, denn mit der neuen Altersvorsorgeära geht ein weiterer Paradigmenwechsel einher. Der alte Grundsatz, dass Lebensversicherungen nicht gekauft werden, sondern verkauft werden müssen, lässt sich zumindest in der Breite des Marktes nicht mehr aufrechterhalten. Der klassische Vertrieb ist nicht effizient und hat den politischen Kredit fast vollständig verspielt.

Wie sieht das Produktangebot der Zukunft aus?

Während sich in der geförderten Altersvorsorge mit hoher Wahrscheinlichkeit „Opt-out-Modelle“ durchsetzen werden, um die gewünschte hohe Durchdringung zu erreichen, bieten sich in der biometrischen Absicherung vor allem zwei Modelle an. Zum einen wird das Annexgeschäft an Bedeutung zunehmen. Biometrie kann dann als selbständiger Vertrag neben einer Immobilienfinanzierung oder dem neuen Altersvorsorgeprodukt, das hoffentlich nicht rein staatlich organisiert wird, abgeschlossen werden. Zum anderen wird es aktiv gekauft werden, wenn existenzielle Entscheidungen wie Partnerschafts-, Nachwuchs- oder Ruhestandsplanung anstehen.

Lebensversicherer tun gut daran, sich schnell umzustellen. Hausaufgaben warten vor allem im Produktangebot, im Vertrieb und der generellen Digitalisierung des Geschäftsmodells. Bei den Produkten geht es einerseits um Effizienz und andererseits um eine Komplexitätsreduktion. Drastisch ausgedrückt wird die heutige Berufsunfähigkeitsversicherung in Zukunft nicht mehr das Produkt der Wahl sein, da Beratungs- und Underwritingprozess nicht im self-service funktionieren und BU bereits heute für weite Teile der Bevölkerung nicht abschließbar ist.

Der Vertrieb muss digital werden. Zu einer modernen digitalen Plattform gehören Direktabschlussfähigkeit auf der eigenen Website, die Befähigung von Vermittlern jeder Couleur zum effizienten Abschluss und die technischen Voraussetzungen zur Integration in Partnerportale jedweder Art.

Welche Bedeutung spielt die Digitalisierung?

In der Digitalisierung liegen die größten Herausforderungen aber auch die einzige echte Chance. Ohne Digitalisierung wird es in Zukunft für keinen Lebensversicherer mehr gehen und eigentlich kein Lebensversicherer ist hier auf der Höhe der Zeit. Wirklich gute Abschlussstrecken und intuitiv nutzbare Portale bietet heute fast kein Lebensversicherer, was zum Teil auch an den Verwaltungssystemen liegt. Die Systeme sind schlicht so alt, dass das Thema „Echtzeitdaten“ beim Aufbau quasi noch nicht existent war. Generell wurde aber noch stärker als in der Kompositversicherung die Entwicklung verschlafen. Schon heute suchen Kunden aktiv nach Lösungen, die in der Selbstberatung oder mindestens mit Selbstauskunft funktionieren. Sie treffen aber selbst bei namhaften Versicherern auf gar kein oder nur ein rudimentäres Angebot, das nicht häufig aussieht, als wäre es völlig aus der Zeit gefallen. Ganz offenbar überträgt sich die Trägheit im Bestand in vielen Fällen auf die Kundenschnittstelle. Spätestens mit der Einführung der „Digitalen Rentenübersicht“ aber werden auch viele zukünftige Versicherte ständige, digitale Transparenz über Ihre aktuelle Vorsorge(-lücke) im Alter bekommen. Wenn das Bewusstsein für diese Lücke digital geschaffen wird, dann müssen die Interessenten auch digital angesprochen und als Kunden gewonnen werden.

Die gute Nachricht ist, dass die Verwaltung und das digitale Engagement in Zukunft viel einfacher werden, wenn die Produktkomplexität im Neugeschäft geringer ausfällt, weil die gemischten Vorsorgeprodukte wegfallen). Damit besteht die Chance, in der IT auf effiziente Standardlösungen zu setzen, die bereits international erprobt sind. Das „Altgeschäft“ geht so oder so in den Run-off. Dabei spielt es aus Kundensicht keine Rolle, ob dieser intern oder extern durchgeführt wird. Unter Umständen werden hier auch noch neue Ansätze entstehen, wie eine Branchenlösung für die saubere Abwicklung der Riesterverträge. Es ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass Lebensversicherer den Aufwand bis zum Ablauf der letzten Verträge alleine leisten kann und will.

Wie sehen die Geschäftsmodelle der Zukunft aus?

Die Digitalisierung hat gezeigt, dass neue Versicherungsgeschäftsmodelle aufgrund des hohen Kapitalbedarfs lange brauchen, um sich durchzusetzen. Wahrscheinlich ist, dass die meisten Neocarrier wieder verschwinden werden. Etablierte Versicherer haben aber allemal die Chance und die Kapitalkraft, um sich neu zu erfinden. Es bedarf allerdings einer klaren unternehmerischen Vision, Tatkraft und Entscheidungsfreude, um in der Post-Riester-Zeit zu bestehen.

Die erste Entscheidung muss hinsichtlich der Produkte erfolgen, die im Neugeschäft noch angeboten werden können. Dabei kommt es entscheidend auf die Solvabilität und Kapitalanlagekompetenz an. Hier gibt es im Markt heute große Unterschiede.

Zweitens muss entschieden werden, wie die Verwaltung der Altbestände und des Neugeschäfts erfolgen soll. Make or buy ist dabei eigentlich keine Frage mehr. Für die meisten Versicherer sind Lösungen, bei denen sie die nötige Software als Cloudservice einkaufen, schon heute effizienter.

Der Vertriebsumbau kommt an dritter Stelle. Dabei müssen Lebensversicherer entweder selbst die Schnittstelle zum Kunden über einen effizienten Onlinevertrieb besetzen oder sich über Kooperationen behaupten. Beliebigkeit ist dabei für beide Ansätze der falsche Ansatz. Während sich heute viele Lebensversicherer darauf verlassen, dass die Vertreter schon die passenden Kunden finden werden, ist eine Produkt- und Zielgruppenspezialisierung mindestens für den Vertrieb an Endkunden eine wichtiger Erfolgsfaktor.

Am wichtigsten ist aber, dass Entscheidungen getroffen werden. Es ist jetzt an der Zeit, die Mitarbeiter richtig zu schulen und neue Talente zu binden. Es ist jetzt die Zeit Entscheidungen für den (digitalen) Vertrieb der Zukunft zu treffen und es ist an der Zeit die eigene IT entsprechend sicher aufzustellen. Warten wird sich nicht lohnen. Schützenhilfe von der Politik wird es nicht geben.