Digitale Wiedergeburt der Assekuradeure
Gastautor: Marc Surminski
Assekuradeure sind eine altehrwürdige Institution in der deutschen Assekuranz. Traditionell in hochspezialisierten Märkten wie etwa der Seeversicherung tätig, haben sie über Jahrhunderte das Versicherungsgeschäft in Hafenstädten wie Hamburg und Bremen geprägt. Im Kern stand von Anfang an das Geschäftsmodell, mit hoher Underwriting-Expertise und weitgehender Vollmacht Risiken für Versicherer zu zeichnen, ohne sie selbst zu tragen. Bis heute ist das in diesen Märkten ein erfolgreiches Nischengeschäft geblieben, das von wenigen hochprofessionellen Spezialisten betrieben wird.
Seit einiger Zeit erlebt das Geschäftsmodell der Assekuradeure aber eine bemerkenswerte neue Blüte. Mit der digitalen Transformation der Versicherungswirtschaft wurde es auch für andere Geschäftsbereiche attraktiv. Die Zahl der Assekuradeure hat zuletzt weltweit zugenommen. Die Zeichnung von Risiken aller Art über Assekuradeure ist für viele Insurtechs, Makler und Versicherer ein Vehikel, um neue Wege in der Digitalisierung des Versicherungsgeschäftes zu gehen. Hier ist es möglich, mit überschaubarem Kapitaleinsatz innovative Ansätze auszuprobieren, von denen am Ende Kunden, Makler und Versicherer gleichermaßen profitieren können. Das traditionsreiche Geschäftsmodell der Assekuradeure erlebt damit sozusagen seine digitale Wiedergeburt.
Im Versicherungsmarkt Fuß fassen
Für Startups ist die Rolle des Assekuradeurs attraktiv, um im Versicherungsmarkt Fuß zu fassen, ohne den hohen Aufwand für den Aufbau einer eigenen Versicherung stemmen zu müssen. Nicht selten steht nach der Etablierung als Assekuradeur in einem bestimmten Marktsegment dann als nächster Schritt die Zulassung als Versicherer an. Aber unabhängig davon ist es möglich, neue Ansätze etwa im Underwriting über den Aufbau eines Assekuradeurs in den Markt zu tragen.
Ein zentraler Vorteil vieler neuer Assekuradeure: Sie setzen digitale Instrumente und Methoden ein, die etablierte Versicherer oft kaum selbst anbieten können, weil ihnen dafür schlicht die IT-Grundlagen fehlen. Den Versicherern ist es damit möglich, mit verhältnismäßig wenig Aufwand neue Ideen von kreativen Newcomern zu testen, die in den verschlungenen eigenen Organisationsstrukturen der meisten Versicherer wenig Chancen auf Realisierung hätten. Der Innovationskraft der neuen Assekuradeure sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Ein aktuelles Beispiel: In schadenbelasteten Sparten wie Wohngebäude öffnen sich neue Wege bei der Prävention und Früherkennung von Schäden, indem Assekuradeure den Einsatz von Sensorik bei den Kunden vorantreiben und dadurch Risiken ganz anders kalkulieren als mit herkömmlichen Schadendaten aus der Vergangenheit.
Digitale Musterschüler
Im Idealfall sollte der Assekuradeur seine digitalen Fähigkeiten auf breiter Front zum Einsatz bringen: Er kann mit modernen Methoden der Datenanalyse aktuarielle Erkenntnisse zu Branchen und Risiken als neuen Standard für das Underwriting definieren. Und er kann dem Versicherer mehr Effizienz bieten. Angesichts immer knapperer Margen ist das die entscheidende Währung im Kampf um ertragreiches Geschäft: Mit automatischer Policierung, Rechnungserstellung und Inkasso sowie einem reibungslosen Datentransfer zum Kapazitätsgeber setzen die Assekuradeure neue Maßstäbe für Effizienz. Das können sie nur schaffen, weil sie frei von veralteten Technologien und Denkweisen sind. Viele sind so etwa wie digitale Musterschüler und heute schon so komplett digital aufgestellt, wie die Versicherer es erst noch werden wollen.
Die Versicherer können durch die Zusammenarbeit mit den Assekuradeuren die Chancen der Digitalisierung nutzen, ohne entsprechende eigene technische Kapazitäten aufbauen zu müssen. Sie greifen in einer sich zuletzt immer weiter differenzierenden Aufteilung der Wertschöpfungskette auf die Fähigkeiten der Assekuradeure zurück. Die Versicherer nutzen damit die digitale Innovationskraft der neuen Akteure und bleiben im Underwriting konkurrenzfähig – weil die Assekuradeure eben State of the Art im digitalisierten Geschäft arbeiten. Ein weiterer Vorteil: Bewähren sich neue Ansätze nicht, ziehen sich die Versicherer einfach von der Übernahme von Risiken des betreffenden Assekuradeurs zurück – und das ohne dramatische Folgen etwa für die eigene Vertriebsorganisation, der man einen Strategieschwenk verordnen müsste.
Eigene Innovationsfähigkeit in Gefahr?
Allerdings gibt es auch ein potentielles Problem im Zusammenspiel von Versicherern und Assekuradeuren: Wer als Versicherer immer mehr innovative Services von externen Dienstleistern etwa im Underwriting nutzt, gerät in Gefahr, auf Dauer selbst die eigene Fähigkeit zur Innovation einzubüßen. Innovationen und digitalen Fortschritt über spezialisierte Dienstleister zu beziehen ist zwar ein kluger Weg, um eigene Defizite auszugleichen. Aber am Ende könnten Versicherer damit in eine Abhängigkeit von diesen Dienstleistern geraten. Wenn dann Assekuradeure im nächsten Schritt selbst zu Versicherern werden und die Risiken auf eigene Rechnung tragen, würden die etablierten Versicherer unter Druck geraten.
Es ist daher für die Versicherer sinnvoll, sich die Expertise und die Innovationskraft der Startup-Assekuradeure zu sichern – etwa, indem man sie übernimmt und möglichst schonend in die eigenen Strukturen integriert. Allgemein stehen im Bereich der Insurtechs die Zeichen ohnehin längst auf Kooperation zwischen Newcomern und etablierten Versicherern. Das wird auch im Bereich der Assekuradeure zunehmend der Fall sein. Diese können ja überhaupt nur dann existieren, wenn sie den Versicherern die entsprechenden guten Services bei der Zeichnung neuer Risiken anbieten, damit die Bestände wachsen und die Ertragskraft steigt.
Die neuen Assekuradeure werden damit zu einem Innovations- und Digitalisierungsmotor auch der deutschen Assekuranz. Gerade in den etablierten Strukturen der Gewerbe– und Industrieversicherung sorgen sie für Aufbruchsstimmung, die Versicherer aus eigener Kraft nur schwer erzeugen können.