Digitale Kanäle vor klassischer Vertriebsstruktur
Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Österreich derzeit noch kaum InsurTechs, die am Markt vertreten sind. Über Gründe dafür, aber auch über Anforderungen von Versicherern und Kunden in Zukunft spricht unser Geschäftführer Ingolf (Putzbach) im Interview mit fairmedia.
Im Insurance Radar 2019 heben Oliver Wyman und Policen Direct euch als eines von 20 Unternehmen in der Versicherungsbranche besonders hervor. Außerdem zählt ihr zu den Top 100 InsurTechs. Wie hat sich euer Weg hierhin gestaltet?
Ingolf: Wir hatten das große Glück, schon 2012 die Gründer der Dextra Rechtsschutz AG zu treffen. Gemeinsam haben wir dann 2013 einen bis heute sehr erfolgreichen digitalen Versicherer aufgebaut, bei dem sum.cumo für das Kernsystem, das Frontend und den Betrieb der IT-Plattform verantwortlich ist.
Mit dieser Erfolgsgeschichte im Rücken fiel es uns leicht, große Versicherer in Deutschland zu überzeugen, die auf der Suche nach neuen technologischen Lösungen waren. Nebenbei hatten wir dann vor allem unser Wachstum und speziell die Mitarbeitergewinnung zu meistern. Seit 2016 haben wir uns um den Faktor 5 vergrößert und trotzdem immer Geld verdient. Das ist den Autoren der großen InsurTech-Studien nicht entgangen.
Welche Anforderungen haben Versicherer derzeit?
Ingolf: Die Versicherer haben verstanden, dass sie ihre IT-Plattformen und ihre Arbeitsweisen verändern müssen, wenn sie zukünftig erfolgreich sein wollen. Bei sum.cumo haben wir uns so aufgestellt, dass wir Versicherer zu digitalen Geschäftsmodellen beraten und dann nahtlos in die Umsetzung starten können. Durch unseren kooperativen Entwicklungsansatz gemeinsam mit dem Kunden leisten wir einen wichtigen Beitrag zur organisatorischen Transformation und können den Erfolg mehr oder weniger garantieren: Wir setzen auf erprobte Produktlösungen, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben und auf die wir aufbauen können.
Im Vergleich dazu: Welche Erwartungen haben eurer Meinung nach Versicherungsnehmer an Vertrieb und Service und wie passt das mit den Anforderungen der Versicherer zusammen?
Ingolf: Versicherungen sind keine Produkte des täglichen Bedarfs und werden es nie sein. Dennoch überträgt der Versicherungsnehmer Erfahrungen mit anderen Branchen auf den Vertrieb und Service von Versicherungsunternehmen. Es gibt den allgemeinen Trend, dass Konsumenten autark agieren wollen. Sie wollen Versicherungen
online kaufen, sie erwarten ein einfach nutzbares Kundenportal und sie möchten im Schadenfall Transparenz über die Bearbeitung haben. Die Versicherer finden sich langsam damit ab, dass digitale Kanäle die klassische Vertriebsorganisation und das Callcenter ergänzen müssen. Aber alte Systeme und Prozesse stehen einer schnellen Umsetzung entgegen.
Wie nehmt ihr den Markt / die Mentalität in Österreich bezüglich InsurTechs wahr? Wie sind demgegenüber eure Erfahrungen in Deutschland?
Ingolf: In Deutschland herrscht eine viel größere Wettbewerbsintensität. Daher gibt es hier eher als in Österreich Versicherer, die das unternehmerische Risiko eingehen, etwas Neues auszuprobieren. In der Konsequenz haben wir inzwischen viele digitale Angebote, die häufig auch in Kooperation mit InsurTechs entstanden sind. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die Verbraucher in Österreich weniger internetaffin sind als Deutsche oder Schweizer. Die Nutzung digitaler Produkte steht und fällt mit dem Angebot. Mittelfristig werden sich auch die österreichischen Versicherer den Kundenerwartungen nicht entziehen können. Ansonsten müssen sie mit neuen Wettbewerbern aus dem Ausland rechnen. Unser Kunde nexible hat bereits vorgemacht, dass Tech-Versicherer ohne großen Aufwand international expandieren können.
In welchen Bereichen (Vertrieb / Services) und Sparten (Kfz & Co) seht ihr ganz besonders Potenziale?
Ingolf: Das Potenzial des digitalen Vertriebs sollte man auf Sicht der nächsten drei bis fünf Jahre nicht überbewerten, da der persönliche Vertrieb für komplexe Produkte in diesem Zeitraum noch eine große Rolle spielen wird. Bei den Services muss man sich darüber klar werden, dass die heutige Sachbearbeitung einer vollständigen Automatisierung entgegen steht. Um wettbewerbsfähige Kostenquoten zu erreichen, müssen die Geschäftsprozesse Richtung Kunde und Vertriebspartner digitalisiert werden – und möglichst vollständig als Self-Service zur Verfügung stehen. Transaktionsintensive Produkte wie Kfz, für die es seitens der Kunden eine aktive Nachfrage gibt, bieten sich dafür stärker an als z.B. eine Pensionsversicherung.
Wie wird Schadenregulierung in Zukunft aussehen bzw. inwieweit werden Services wie Videobegutachtung mehr und mehr eine Rolle spielen?
Ingolf: Die Schadenregulierung ist der wesentliche Hebel für die Steigerung der Profitabilität und für die Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Inzwischen ist es möglich, die Schadenhöhe über Künstliche Intelligenz zu ermitteln. Damit wird eine Regulierung in Sekundenbruchteilen nach Eingang der Schadenmeldung möglich. Das ist nicht nur effizient, sondern bietet gleichzeitig einen hohen Kundennutzen.